Juni – „Die Kraft der Eigenständigkeit“
Juno, die römische Göttin der Ehe und Gattin des Göttervaters Jupiter ist die Namensgeberin für
diesen Monat. Im Althochdeutschen hieß der Juni auch „Brachet oder Brachmonat“, da in der
Dreifelderwirtschaft des Mittelalters in diesem Monat die Brache begann. Man spricht auch vom
Rosenmonat, da die Rosenblüte nun ihren Höhepunkt erreicht. Aus diesem Grund wurde der Juni
früher auch Rosenmond genannt.
In der Gestalt reifender Früchte, höchster Blüte und Farbenpracht zeigt sich „das hervorkommende
Leben“ des Junis. Bei den Pflanzen findet die Befruchtung statt, gleichzeitig setzen Sträucher
und Bäume schon in den Achselgelenken der diesjährigen Blätter und Blüten neue Knospen für das
kommende Jahr an. So sorgt die Pflanze für sich und ihre Gemeinschaft. Die Jungtiere wagen sich
immer öfter aus dem mütterlichem Hort und gewinnen an Selbständigkeit. Das Jahr strebt seinem
Höhepunkt zu, dem Mittsommer– oder Johannisfest am 21. Juni.
Nun hat das sich im Äußeren entfaltende Leben, das wir in den Stufen des Entstehens (Widder),
des Verwurzelns (Stier) und des Wachsens (Zwilling) betrachtet haben, seinen Höhepunkt erreicht.
Es schließt nun ab, um sich in den folgenden Monaten wieder ins Innere zurückzuziehen. Das Leben
kann nicht stetig weiter wachsen. Was im Außen seine höchste Entfaltung erreicht hat, muss sich
nach innen wenden, denn nur so kann die Erneuerung eingeleitet werden. Das Leben hat soviel
Erfahrungen gesammelt, die jetzt zur Essenz werden, damit eine Reife für neues Leben entsteht
und weitergegeben werden kann. Oft wird dieses dem Monat zugeordnete Tierkreiszeichen Krebs auch
mit dem Wasser eines Flusses verglichen, das einen See oder Ozean als Ziel sucht, in das es sich
hineinbegeben kann.
Die Potenz und Pracht des Jahresgottes Baldur hat sich im Juni voll entwickelt: er steht in der
Blüte seiner Jahre. Im Hochgefühl des Lebens, der Fülle des Seins, ahnt man, dass die Ernte
bevorsteht. Die Germanen sahen im „Brachmonat“ das Herannahen des Feuergottes Loki, des
Anstifters von Baldurs Tod. Der Juni galt als besondere Schicksalszeit, in der alles offenbar
wurde, was mit Liebe oder Feindschaft zu tun hatte. Den Höhepunkt bildet das Johannisfest mit
dem Johannisfeuer. Das Feuer wird in der Nacht vor dem Johannistag angezündet. Vor allem auf
Bergen ist es ein altes Symbol für die Sonne und damit für Christus. Auch Johannes selbst hat
mit Feuer zu tun, denn er gilt nach dem Propheten Maleachi als der Vorläufer Jesu, der besagt,
dass Christus mit „Feuer und mit Geist“ taufen werde. Dem Volksglauben nach sollte das
Johannisfeuer Dämonen abwehren, mit allen Frieden schliessen, damit eine reiche Ernte möglich
würde. Denn Feindschaft unter Menschen bedeutete zu dieser Zeit auch Streit im Himmel.
„Breidablick“ heißt das Haus, indem Baldur thront, was soviel wie „weiter Blick“ oder „weite
Spannung“ bedeutet. Tatsächlich finden wir zur Zeit der Sonnenwendpunkte im Sommer wie im Winter
die höchste Spannung, da sich höchstes Licht und höchste Dunkelheit gegenüberstehen. Im Auftun
der zweiten Jahreshälfte weitet sich der Blick im Jahreslauf auf das große Ganze. Die Rückschau
auf Vergangenes ist fast so stark wie die Schau auf die Möglichkeiten der Zukunft.
In der germanischen Mythologie heißt es, Baldur ist weise, barmherzig, von strahlendem Glanz und
gut im Herzen. Doch seine Urteilssprüche sind nicht beständig, da er dem Gesetz von Leben und
Tod unterliegt. Die Sonne, Sinnbild des Lebens, wendet sich zur Sommersonnenwende wieder zu
ihrem „Urausgangspunkt“ zurück und so geht auch Baldur den Weg der sterblichen Menschen.
Im Frühling zog der junge Sonnenheld aus, um sein Ich und somit die Welt zu befreien. Mit dem
Tierkreiszeichen Krebs gerät nun ein Bruch in diese expansive, ich-orientlerte Kraft. Die
Mutterkraft gewinnt an Bedeutung. Aus ihr sind wir geboren und so fordert das Zeichen des
Krebses eine Rückkehr zu den Wurzeln. Einst legte man Kriegern zwei Sonnenspiegel mit ins Grab,
für jede Kopfhälfte einen. Sie galten als Symbol der Wiedergeburt mit der 6 und der 9 für die
beiden Urkräfte, die von der Mutter neu verbunden werden mussten. Sie können auch als Tor zur
Inkarnation und Exkarnation gesehen werden. Man findet sie im Symbol des Tierkreiszeichens Krebs
wieder.
Dieses Zeichen trägt die stärkste Spannung im Jahreskreis, nämlich die zwischen Sommer- und
Wintersonnenwende, in sich. In dem Sonnenhelden Baldur, der die erste Jahreshälfte regiert und
der griechischen Gestalt der Winterwasserschlange Hydra, die mit ihren acht vergänglichen Köpfen
und dem einen unvergänglichen die Illusion des ewigen Wachstums symbolisiert, kleideten unsere
Vorfahren diese Spannungsgeladenheit in Bilder. Die Hydra ist für die nach dem Leben Süchtigen
sehr anziehend. Doch führt die Gier nach unendlichem Genuss, Erfolg oder Leben in die
Hoffnungslosigkeit. Die Symbolik des Krebses fordert uns auf, eine Verhältnismäßigkeit zwischen
Wachstum und Aufbrauchen der Kräfte, zwischen Geben und Nehmen und letztlich zwischen Leben und
Tod zu finden. Hier ist gefordert, die Balance zwischen den Spannungspolen Fülle und Mangel, dem
Einzelnen und dem Ganzen, dem Ich und der Menschheit zu schaffen.
Sommersonnenwende
Sag, was kündet mir, Sommerwendkraut, leuchtender Busch du?
Nicht Johanniskraut, nein, Lichtheiliger mögest Du heißen!
Sommerverkünder, so weit das Auge erfasset die Landschaft.
Lichthell steht der Rain und sommerlich glühet der Wegsaum,
Borget den Nächten sogar ein mittnachtsonniges Dämmern.
Christian Wagner