Mai – „Die Kraft des Entdeckens“
Der Name des Monats Mai soll auf den römischen Gott Jupiter Maius, den Wachstum bringenden Gott
zurückgehen. Andere Quellen benennen die Göttin Maia, Mutter des Merkur, als Ursprung. Daraus
wurde später im römischen Kalender der Monat Marias.
Dieser Wonnemonat liegt mit seiner Frische, Leichtigkeit und Pracht vielen Menschen besonders am
Herzen, da er den Vorstellungen von „einem irdischen Paradies“ am nächsten kommt. Die
Lebenskraft ist im Mai am stärksten. Früher pflegten die Menschen am 1. Mai zum Sonnenaufgang
den Frühling willkommen zu heißen. Alte Mai-Riten wie die Wahl zum „Mai-Brautpaar“, das in den
sogenannten „Laubfesten“ gefeiert wird, sind eng mit dem Thema „Hochzeit“ verbunden. Die
Maikönigin trägt prächtige Gewänder und ein Diadem mit bunten Bändern, dass sie wie die Sonne
strahlen lässt und der Maikönig ist ganz in Laub gehüllt. Nun wird der Maibaum aufgerichtet, an
dessen Spitze ein Laubkranz mit bunt geschmückten Bändern hängt. Baum und Kranz spiegeln
symbolisch beide Geschlechter wieder. Wer es als erstes von den Männern schaffte „den
Lebensbaum“ hinauf zu klettern und den Kranz zu berühren, durfte als erster eine heiratsfähige
Braut auswählen. Ein weiterer alter Mai-Ritus ist „die Richtfestsitte“, wo junge Bäumchen auch
heute noch auf das Dach eines neu gebauten Hauses gesteckt werden, die die Lebenskraft dieses
Monats segensreich auf Haus, Natur und Mensch übertragen sollen.
Jetzt zeigt das Jahr sich ganz in der Vielfalt und Blüte des Lebens. Die Bäume entfalten nach
der Blüte ihre Blätter in vollendeter Form und ihre Atmungsaktivität nimmt zu. Die Pflanzen
strecken ihre Fühler weit aus. Alles blüht in voller Pracht und die Blumen stellen ihre Blüten
samt Staubgefäßen und Stempeln verführerisch in die Welt, um die emsig schwirrenden Insekten
anzulocken. In der Vogelwelt ist alles auf Nestbau und Eiablage ausgerichtet. Die Frühlingswiese
strahlt und summt. Diese faszinierende Stimmung weckt Neugier und Entdeckungsfreude bei den
ersten Jungtieren. Alles Vegetative strebt nun verstärkt in die Vertikale, dem Licht entgegen.
Die Germanen verbanden diese Zeit mit dem Gott Fjöllnir, dem Mannigfaltigen.
In ihrer ganzen Pracht liegt die Welt nun vor uns und die Vielzahl der Erscheinungen will
entdeckt und benannt sein. Man erkennt nun an den Blüten die Art der Pflanze. Durch die
Offenbarung der ganzen Form zeigt sich Ähnliches und Unterschiedliches. Dadurch entsteht
Gemeinschaft und Zugehörigkeit, Interaktion und Beziehung. Dieses Prinzip ist ebenso deutlich am
Menschen zu erkennen: viele Organe besitzt er zweifach. Dies zeigt sich auch im Atem, kein Leben
ohne Aus- und Einatmen. Die beiden Lungenflügel verkörperten das Zwillingswesen, die Dualität
allen menschlichen Seins. Der Mensch trägt auch beide Geschlechtsanteile in sich: Anima, den
weiblichen Anteil und Animus, den männlichen Anteil. Der Mai galt somit als Hoch-Zeit, in der
sich die beiden mächtigen Pole vereinigen, um neues Leben zu erschaffen.
Bei unseren Vorfahren hieß der Monat Mai „Thryheim“, was „Heim der Riesen“ bedeutet. Dies war
für sie die Himmelsburg des Frühlings, von der aus Wind und Sturm durch die Natur brausten. Die
Riesen waren Symbole des Windes. Im Mai entscheidet sich, ob der Himmel genügend Wasser
gespendet hat, damit die Natur die trockene Sommerzeit gut übersteht. Die Himmelsburg „Thryheim“
steht daher für die enorme Dynamik des Wetters im Monat Mai: die Frühjahrsstürme, die
Regenwolken herbei treiben und ihre kostbare Fracht auf die Erde ergießen und die Wärme der
erstarkten Sonnenkraft.
Beim Zwillingszeichen geht es in vielen Mythen um die lichte und dunkle Seite des Lebens. Wir
kennen aus der griechischen Sagenwelt das Zwillingspaar Castor und Pollux, die Namensgeber der
Sternenkonstellation Zwilling am Himmel. In der germanischen Mythologie finden wir den
Sonnenhelden Baldur (Siegfried) und seinen dunklen Bruder, den blinden Wintergott Hönur (Hagen).
Romulus und Remus als die Gründer Roms und das Bruderpaar Abel und Kain sind uns auch vertraut.
Alles, was unser Leben ausmacht hat zwei Seiten, jede Münze hat zwei Seiten, die eine gäbe es
nicht ohne die andere. Dieses Prinzip wird weitergeführt in Anschauungen von einer Zwillings-
oder Dualseele, von verloren gegangenen Seelenanteilen, nach denen jeder Mensch im Leben sucht.
Reinheit, Wahrheit und Unschuld stehen in den Zwillingsmythen Sehnsucht, Ehrgeiz, Neid, Streit
und Mord gegenüber. Der dunkle Bruder oder die Schwester trifft auf ihren hellen
Zwillingsanteil, was zu großen Spannungen führt. Der Sinn dieser heftigen Kämpfe liegt letztlich
in der Erkenntnis, dass es eine Einheit gibt, aus der alle Vielfalt entspringt. Dies Suche hat
auf mannigfaltige Weise in allen Kulturen Bewusstseinsschulungen hervorgebracht. Die
mythologische Botschaft der Zwillinge weist auf den inneren Zwiespalt hin, Hass und Angst können
Zwietracht entstehen lassen oder aber durch eine spirituelle Suche nach „dem inneren Einssein“
überwunden werden. Somit versöhnen sich die Gegensätze. Niemand kann die Höhen des Lebens
ausloten ohne die Tiefen zu kennen. Die Freude ist ohne die Trauer nicht erlebbar. Ohne die
Liebe kann man sich und die Welt nicht erkennen. Sie ist stets die alles ausgleichende Kraft,
die beide Pole in der Mitte vereint.
Die Energie des Zwillings bietet ein Maximum an Spannung und Kampfgeist. Indem wir im Zeichen
des Zwillings uns ganz auf das Leben einlassen, sind wir offen für das, was uns aus der
Himmelsburg zufließt. Die Verjüngung der Natur, jetzt auf ihrem Höhepunkt, kann uns aus den
alten, winterlichen Bahnen des Denkens und Handelns bringen. In keinem Monat ist uns die
natürliche Schöpferkraft so nahe und bietet uns so verschwenderisch segensreiche Heilkräuter an.
Die ganze Natur vermittelt uns: „werde frei“.
Mai
Mit Maiglöckchen
läutet das junge Jahr
seinen Duft
Der Flieder erwacht
aus Liebe zur Sonne
Bäume erfinden wieder ihr Laub
und führen Gespräche
Wolken umarmen die Erde
mit silbernem Wasser
da wächst alles besser
Schön ist's im Heu zu träumen
dem Glück der Vögel zu lauschen
Es ist Zeit sich zu freuen
an atmenden Farben
zu trauen dem blühenden Wunder
Ja es ist Zeit
sich zu öffnen
allen ein Freund zu sein
das Leben zu rühmen.
Rose Ausländer